Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 


Predigt über Genesis 3 an Karfreitag 2011

Liebe Gemeinde,

eine ganz bekannte Geschichte ist das. Die Geschichte vom sogenannten Sündenfall, obwohl das Wort Sünde überhaupt nicht vorkommt. Aber von Sünde ist ganz sicher die Rede, wird doch geschildert, wie sich Gott und Mensch entzweien, einander fremd werden. Von daher ist diese Geschichte ein, vielleicht der Karfreitagspredigttext unter der Überschrift: Warum musste Jesus sterben?

Ich weiß nicht, was Ihnen so an Gedanke durch den Kopf gehen, wenn Sie das hören. Adam und Eva die beiden Schuldigen, dass wir das Paradies verloren haben? Und die sind also schuld an dem ganzen Drama, das schließlich mit Jesu Tod am Kreuz endet? Oder: Ohne die blöde Schlange wäre doch alles gut gegangen, die ist doch an allem schuld?

Aber nein, diese Geschichte erzählt nicht von einem Ereignis in ferner Vergangenheit. Adam und Eva heißen übersetzt »der Mensch« und »die Mutter alles Lebendigen«. Es ist eine Geschichte über uns Menschen.

Adam und Eva, das sind wir heute. Wir erkennen uns doch schnell wieder. Adam, der Mensch, sagt: Die Frau hat mir von der Frucht des Baumes gegeben und ich aß. Eva, die Mutter aller Menschen, sagt: Die Schlange betrog mich, so dass ich aß. Nein, ich bin nicht schuld. Der andere ist es. Die andere war es. Ich nicht.

Wer hat im Konfirmandenunterricht mal wieder ein Papierbällchen durch den Raum geworfen? Nein, ich war es nicht. Das war doch der, der da drüben sitzt. Welches Handy hat wieder geklingelt? Meins nicht. Das ist ausgeschaltet. Der Klingelton kam doch von dort. Adam und Eva – unter uns.

Wer hat im Scheidungskrieg die Wahrheit gesagt? Ich bin nicht schuld. Unsere Ehe war ja schon vorher zerrüttet. Du hast dich doch schon vorher nach anderen Frauen umgeguckt. Nein, ich bin nicht schuld. Du wolltest dich doch nur selbst verwirklichen. Dabei machst du deine Familie kaputt. Adam und Eva unter uns.

Politische Diskussionen verlaufen fast immer nach diesem Schema. Das, was ihr gemacht habt, ruiniert unseren Ort, unser Land. Ihr seid schuld an Betrug, an den Finanzen, an Ausgrenzung, an Arbeitslosigkeit. Herr von Guttenberg sagt, nicht ich wars, die Medien waren es. Adam und Eva unter uns.

Über die Jahrhunderte ist diese biblische Geschichte selber in diese Tradition des Schuldzuweisens eingereiht worden. In dieser Reihe sind allerdings die Adams, die Männer die Antreiber gewesen. Lange Zeit haben die männlichen Theologen (weibliche gab es ja nicht, oder kaum) betont, dass sich die Frau sich schneller hat verführen lassen als der Mann und dass sie dann selber zur Verführerin wurde. Hier sei begründet, dass die Frau sich dem Mann unterzuordnen habe, um Schlimmerem zu wehren. Seit Evas da sind, Theologinnen, hat sich diese Auslegungsgeschichte geändert. Gott sei Dank.

Was treibt die beiden aus dem Paradies? – Es ist die Erkenntnis, die Erkenntnis von Gut und Böse. Das verwundert doch nur im ersten Moment. Müssen wir nicht immer ein Paradies verlassen, wenn wir zur Erkenntnis kommen? Wo wir Wahrheiten erkennen, werden uns Illusionen genommen. Wo wir Zusammenhänge aufspüren, werden uns auch die Schattenseiten nicht erspart bleiben. Manchmal zerbricht ein Paradies gerade dann, wenn man wie Adam und Eva besonders darum bemüht ist, sich das Paradies auf Erden zu holen. Wenn man alle Probleme durchschauen will und in den Griff kriegen will, gerät man doch an Grenzen. Denn wer Gut und Böse erkennt, der erkennt wohl auch schnell Schuld, eigene Schuld und Schuld von anderen. Wer tiefer sieht, macht manchmal Entdeckungen, die alles andere als angenehm sind. Wer Wahrheit aufdeckt, für den kann unter Umständen ein ganzes Weltbild zusammenbrechen.

Mancher, der politische und geschichtliche Zusammenhänge an den Tag bringt, erschrickt vor den Fakten und kommt ins Wanken. Für den, der etwas erkennt, kann es sein, als würde er aus einem Paradies der Geborgenheit vertrieben. Erleben wir dies nicht in diesen Tagen und Wochen wieder einmal angesichts der Ereignisse in Fukushima? So stellen Adam und Eva plötzlich fest, dass sie nackt sind. Eigentlich waren sie ja schon vorher nackt, aber erst jetzt nehmen sie es wahr.

Vielleicht ist es ganz gut, wenn wir manchmal aus unseren selbstgebastelten Paradiesen vertrieben werden. Wenn wir dabei sind, mit den Fingern auf die anderen zu zeigen, mag das ein Indiz dafür sein, dass wir notwendige Erkenntnis, die ja sehr oft auch Schulderkenntnis ist, nicht zulassen wollen.

Es ist kein Wunder, dass die Geschichte von Adam und Eva am ersten Sonntag der Passionszeit Predigttext war. Denn in der Passionszeit geht es ja darum, unsere Schattenseiten, unsere Grenzen und unsere Schuld in den Blick zu nehmen. Und es geht darum, dass Jesus durch seinen Leidensweg uns gerade in unserer Dunkelheit und Angefochtenheit nahe ist.

Am Ende gibt Gott den beiden Kleider, um sich zu bedecken. Keine Strafe, es sei denn, man deutet die Vertreibung aus dem Paradies so. Aber die geschieht doch auch, um den Mensch, Adam und Eva zu schützen. Damit sie nicht auch noch von dem anderen Baum essen. Und werden wie Gott. Das wäre furchtbar, und an manchen Stellen unserer Welt kann man die Folgen solchen Wahns sehen, wenn Menschen Gott sein wollen, dann geht alles kaputt.

Gott vergibt die Schuld. Gott sei Dank. Er lässt uns leben, uns, die wir so schnell auf den anderen zeigen und sagen, du bist schuld. Selber Schuld eingestehen ist schwer. Wir können es, weil wir vom Ende der Geschichte her und vor allem von Jesus her wissen, Gott lässt uns auch dann nicht ins Bodenlose fallen, wenn mir der Boden unter den Füßen wegbricht.

Aber leben müssen wir in dieser Welt. In dieser Welt, die wir Menschen, Männer und Frauen durch Sünde vergiftet haben. Die befreiende und mutmachende Zusage Gottes, dass seine Liebe sich nicht verdunkeln lässt durch unser Tun und Lassen, Denken und Fühlen, erlöst uns nicht aus dieser Welt in dem Sinne, dass wir einfach aussteigen könnten. Hannah Arendt hat ein eindrückliches Bild für Chancen und Grenzen unseres menschlichen Handelns gefunden: Wir können nicht mehr, aber auch nicht weniger tun, als Fäden in ein vorhandenes Geflecht einzubringen. Das begrenzt unsere Möglichkeiten zu handeln, zu wirken, kreativ zu sein ganz erheblich. Niemand setzt bei Null an und muss es auch nicht. Wir alle bauen Tag für Tag auf uns Vorgegebenen auf. Und da können wir schon eine Menge schaffen, tun, »leisten«. Aber diese schöne, mutmachende und zugleich entlastende Bild gilt auch umgekehrt: Das uns vorgegebene Geflecht ist auch durchzogen von den Sünden unserer Vorfahren, Männer und Frauen.Und wir flechten uns hinein in dieses so zwiespältige, wunderschöne und abgrundtief schreckliche Geflecht menschlichen Lebens – mit unseren Leistungen, unserer Kreativität, unserem Vertrauen ebenso wie mit unserem Versagen, unserer Gier, unserer Angst. Dieser oft so unheimliche Zusammenhang entspricht dem, was die Theologen mit dem großen und ebenso unheimlichen Wort Erbsünde bezeichnet haben.

Und so können wir am Karfreitag 2011, knapp sechs Wochen nach dem Erdbeben vor der Küste Japans und seinen katastrophalen Folgen auch dieses Ereignis von der Sündenfallgeschichte versuchen zu deuten.

Das Erdbeben, liebe Gemeinde, und der nachfolgende Tsunami, all das hat nichts, aber auch gar nichts mit Sünde zu tun. Solche Bewegungen auf unserem Planeten sind, wenn man es so sagen will, Teil von Gottes guter Schöpfung. Die Geologen, Physiker und Biologen können uns anschaulich erklären, dass ohne diese – teils fürchterlichen Kräfte – menschliches und anderes Leben auf dieser Erde nicht möglich wäre. Hier gilt also, bei allem Leid was dadurch über Tier, Mensch und Natur gebracht wird das Diktum Gottes am Ende jeden Schöpfungstages: »Und siehe,es war sehr gut.« Mag sein, dass so manches Gottesbild hier zerbricht, aber vom lieben Gott steht nichts in der Bibel, »nur« vom liebenden Gott.

Aber sowenig Erdbeben und Tsunami Folge von Sünde darstellen, umso mehr die Katastrophe von Fukushima. Aber wir sollten uns hüten, mit dem Finger nach Japan auf die Betreiber von Tepco zu zeigen, denn wie schon in der Sündenfallgeschichte, wir sind mit drin. Haben wir nicht auch auf billige Kernkraft gesetzt? Haben wir nicht auch Parteien gewählt, die auf den Ausbau von Atomanlagen gesetzt haben? Haben wir nicht auch gerne den billigen Strom bezogen, wohl wissend, dass wir hier eine Technik einsetzen, für deren Abfallstoffe wir keine Lösung haben? Haben wir uns nicht nach Tschernobyl uns nicht auch beruhigt, gemeint, ach das rückständige und sozialistische Russland, bei uns kann das doch nicht passieren? Haben wir nicht auch darauf vertraut, dass Sicherheitsbestimmungen eingehalten werden, obwohl wir gerade als Christinnen und Christen doch wissen, welche verführende Macht die Sünde als Gier entwickeln kann? So haben wir alle an dem kaum entwirrbaren Geflecht mit gestrickt, dass diese Katastrophe möglich gemacht hat. Und wir alle werden an den Folgen dieser Sünden noch zu tragen haben.

Karfreitag 2011. Vielleicht führen uns die Ereignisse aus Japan in diesem Jahr unausweichlich und in schmerzhafter Weise vor Augen, dass Sünde nicht nur die kleinen, individuellen Verfehlungen ist, sondern dass es auch um ganz große und verflochtene Zusammenhänge geht. Und vielleicht hören wir die biblischen Texte und singen die alten Lieder daher mit neuer Aufmerksamkeit.

Amen.

Die Predigt beruht im ersten Teil auf einer Predigt von Gesa Schaer-Pinne, wurde aber stark überarbeitet.

(Link: http://www.kanzelgruss.de/index.php?seite=predigt&id=1934)